Auf dem Tandem: Die Altmark mit allen Sinnen erkunden

Das Gemeinschaftserlebnis zählt

Mit dem Tandem durch die Altmark fahren, die schöne Landschaft gar nicht sehen können – und trotzdem großen Spaß haben. Für die Teilnehmer der "Tour de Altmark" ist das Realität. Die Tandems sind mit je einem Blinden und einem Sehenden besetzt. Da geht es schnell um alle Sinne.

Wenn man nicht gut sieht, muss man sich halt auf seine anderen Sinne verlassen. Monika Moeller ist auf dem linken Auge blind, auf dem rechten hat sie nur noch fünf Prozent Sehleistung. Die Natur in der Altmark erlebt sie während der Tour trotzdem. "Man nimmt ja auch die Gerüche wahr", erklärt Monika. Duftende Blumenwiesen oder der markante Geruch von Wald – die Tour hat für die Nase einiges zu bieten.
Auch Monikas Ohren sind auf der Strecke gefordert. Zum einen, damit sie das Zwitschern der Vögel in den Bäumen hören kann. Zum anderen, damit sie versteht, was ihr sehender Begleiter, der Pilot, ihr berichtet: "Die Piloten erzählen uns, in welchem Ort wir sind, oder beschreiben, dass über uns gerade ein Raubvogel kreist. Manchmal sind auch Häschen mitten auf dem Weg. Das habe ich mit meinem Piloten alles schon erlebt."

Von Brombeerbüschen und Bahnschienen

Monikas Pilot, das ist Matthias Lembke. Er ist in diesem Jahr zum ersten Mal bei der Tour dabei. Als Bismarker kennt er sich aber in der Region aus und weiß, dass es auf der Strecke viel zu entdecken gibt: "Manchmal ist es nur ein Brombeerbusch. Dann fahren wir auf einmal neben Bahnschienen, die zur alten Amerikalinie gehören, auf der die Leute im 19. Jahrhundert das Land in Richtung USA verlassen haben. Wir kommen auch am Goliath vorbei, einem Langwellensender aus dem zweiten Weltkrieg. Es ist einiges geboten."
Mit dem Tandem-Duo Matthias und Monika haben sich zwei gefunden, die die Leidenschaft fürs Radfahren seit jeher teilen. "Ich habe schon halb Europa mit dem Fahrrad bereist und irgendwie hat es sich einfach angeboten", erinnert sich Matthias an den Beginn der Kooperation mit Monika. Die ist selbst froh, dass sie für ihre siebente Teilnahme an der Tour de Altmark einen neuen Tandem-Partner gefunden hat. "Als Kind haben mir meine Eltern das Radfahren beigebracht und seitdem finde ich das super. Jetzt wird es mir aber verboten, da ich nur noch einen kleinen Sehrest habe. Und dann bleibt nur noch das Tandem", stellt Monika mit einem Grinsen im Gesicht fest.
Ihrem Piloten Matthias vertraut sie zu 100 Prozent: "Das muss ich auch. Und ängstlich darf man nicht sein. Aber das bin ich nicht. Trotzdem hat der Pilot eine riesengroße Verantwortung. Er ist ja nicht allein unterwegs, sondern hat einen Sehbehinderten mit im Gepäck." Eine Tandemfahrt geht eben nur gemeinsam.

Das Gemeinschaftserlebnis zählt

Monikas Mann, Horst Moeller, unterstützt seine Frau in diesem Jahr bei der Organisation der Tour. Doch er tritt nicht selbst in die Pedale – Horst sitzt dieses Jahr im Begleitfahrzeug. Vom Tour-Gedanken ist er trotzdem begeistert: "Es ist ein Gemeinschaftserlebnis, man kommt zusammen." Und das in diesem Jahr über drei Etappen: Stendal-Kalbe-Stendal, Stendal-Schönhausen-Klietz-Arneburg-Stendal und Stendal-Wischer. Insgesamt legen die Teilnehmer dabei rund 165 Kilometer zurück. Acht Duos sind dabei, eines zum ersten Mal. "Man kann neue Leute kennenlernen. Und mit den Tandems in Gemeinschaft eine schöne Fahrt durch die Natur zu machen, ist eine schöne Sache", freut sich Michael Bittkau über seine Premiere mit Partnerin Regina Janitschke.

Das gemeinsame Erlebnis steht bei der Tour definitiv im Vordergrund. Pilot Matthias Lembke bringt es auf den Punkt: "Die Tour ist eine Mischung aus Kultur, Kulinarik und dem Reisen in der Altmark. Das Wichtigste ist, dass man unterwegs ist." Sein Tipp für eine besonders schöne Fahrt: "Am besten fährt man abseits der Straßen, dann können die Teilnehmer auch ein Vogelzwitschern, das Rauschen der Blätter oder eine Bahn vorbeifahren hören."
Sebastian Stoll, stellvertretender Landrat im Kreis Stendal, ist von dem Konzept überzeugt: "Ich finde es schön, dass Menschen ohne Sehbehinderung die Menschen mit Sehbehinderung unterstützen. So können alle an dem schönen Sport teilhaben und die Altmark genießen."

Neue Wege für die Zukunft

Doch bei aller Begeisterung für die Idee – mit nur acht Tandems ist die Beteiligung an der Tour in diesem Jahr verhältnismäßig niedrig. "Vergangenes waren auch Fahrer aus Sachsen oder aus Baden-Württemberg dabei. Selbst aus Belgien war ein Duo da. Dieses Mal ist es etwas dünn geworden, wir hatten einige Absagen. Aber im nächsten Jahr wollen sie wieder dabei sein", hofft Mitorganisator Horst Moeller. Seine Frau Monika, die die siebente Ausgabe der Tour ebenfalls organisiert hat, ist da etwas ratloser: "Vielleicht liegt es an der Zahl sieben. Ich weiß es leider nicht." Ein Problem für die Tour könnte sein, dass die Teilnehmer auch nicht jünger werden und Nachwuchs bisher fehlt.

Um die Tour trotzdem für die Zukunft fit zu machen, denkt Horst Moeller im wahrsten Sinne des Wortes an neue Wege: "Im nächsten Jahr wollen wir über den Tellerrand gucken, also auch durch die Prignitz radeln und dann bis nach Rathenow runter. Die Altmark haben wir ja nun schon ordentlich abgegrast." Vielleicht können so auch neue Radsport-Enthusiasten mit Sehbehinderung gewonnen werden.